
Mit zunehmendem Alter verändert sich vieles – auch bei unseren Pferden. Was früher mühelos gefressen und verwertet wurde, kann im Seniorenalter plötzlich zu Problemen führen. Das Maul tut weh, der Stoffwechsel verlangsamt sich, die Verdauung wird träger und das Immunsystem schwächer. Diese physiologischen Veränderungen stellen uns als Pferdebesitzer vor die Herausforderung, die Fütterung unserer geliebten Oldies anzupassen, um ihre Gesundheit, Vitalität und Lebensqualität bis ins hohe Alter zu erhalten.
Die Fütterung alter Pferde ist keine Einheitslösung, sondern erfordert eine individuelle und umsichtige Herangehensweise. Ein 20-jähriges, topfites Pferd mit intakten Zähnen hat andere Bedürfnisse als ein 28-jähriges, klappriges Pferd mit Zahnproblemen und Stoffwechselstörungen. Dieser umfassende Leitfaden taucht tief in die Welt der Seniorenernährung ein. Wir beleuchten die typischen altersbedingten Veränderungen, die sich auf die Futterverwertung auswirken, geben Ihnen einen detaillierten Überblick über die angepasste Raufutter-, Kraftfutter- und Mineralstoffversorgung und zeigen auf, welche ergänzenden Maßnahmen das Wohlbefinden Ihres Seniorpferdes unterstützen können. Unser Ziel ist es, Ihnen das Wissen und die Werkzeuge an die Hand zu geben, damit Ihr alter Freund noch viele Jahre lang vital und glücklich bleibt.
Wann ist ein Pferd „alt“? Die individuelle Betrachtung
Der Übergang vom „erwachsenen“ Pferd zum „Senior“ ist fließend und individuell sehr unterschiedlich. Es gibt keine feste Altersgrenze, ab der ein Pferd als alt gilt. Während einige Pferde bereits mit Mitte 15 Alterserscheinungen zeigen, sind andere mit 25 noch topfit. Allgemein kann man aber sagen:
- Ab 18-20 Jahren: Viele Pferde beginnen in diesem Alter, erste subtile Veränderungen zu zeigen, die eine Anpassung der Fütterung notwendig machen können.
- Individuelle Kriterien: Entscheidend sind nicht nur die Jahresringe, sondern der individuelle Zustand des Pferdes:
- Zahnstatus: Abnutzung, fehlende Zähne, Haken.
- Körperkondition: Gewichtsverlust, Muskelabbau, eingefallener Rücken.
- Stoffwechsel: Neigung zu Koliken, Durchfall, Cushing, EMS, Arthrose.
- Organfunktion: Nieren, Leber, Herz.
- Fell und Haut: Glanzlos, schlechter Fellwechsel.
Ein Pferd ist dann „alt“, wenn es aufgrund altersbedingter physiologischer Veränderungen spezielle Anforderungen an seine Fütterung und Haltung stellt.
Altersbedingte Veränderungen und ihre Auswirkungen auf die Fütterung
Die physiologischen Veränderungen im Alter beeinflussen maßgeblich, wie ein Pferd seine Nahrung aufnimmt, verdaut und verwertet.
1. Zahnprobleme:
- Der häufigste und wichtigste Faktor! Über die Jahre nutzen sich die Zähne ab, verschieben sich, es entstehen Haken oder scharfe Kanten. Zähne können locker werden oder ganz ausfallen.
- Auswirkungen: Das Pferd kann Raufutter nicht mehr ausreichend zerkleinern („Wickel kauen“, Futter fällt aus dem Maul). Dies führt zu ungenügend gekautem Futter, das unverdaulich bleibt und die Verdauung belastet. Mangelnde Speichelproduktion.
2. Verdauungssystem:
- Verminderte Speichelproduktion: Durch Zahnprobleme und weniger Kauen. Speichel ist ein wichtiger Puffer für die Magensäure.
- Reduzierte Verdauungsenzyme: Die Produktion von Verdauungsenzymen kann nachlassen, was die Nährstoffaufnahme beeinträchtigt.
- Veränderte Darmflora: Das Mikrobiom im Darm kann sich verändern, was die Effizienz der Faserverdauung reduziert.
- Langsamerer Transport: Die Darmpassage kann sich verlangsamen, was das Kolikrisiko erhöht.
3. Stoffwechsel und Organfunktion:
- Reduzierter Grundumsatz: Der Energiebedarf sinkt tendenziell, aber der Bedarf an bestimmten Nährstoffen kann steigen.
- Leber- und Nierenfunktion: Können eingeschränkt sein, was die Entgiftung und Verstoffwechselung beeinflusst.
- Insulinresistenz / Cushing: Altersbedingte Stoffwechselstörungen, die eine spezielle Fütterung erfordern (stark reduzierte Zucker- und Stärkezufuhr).
- Fettstoffwechsel: Fette werden oft nicht mehr so gut verwertet.
4. Muskelabbau (Sarkopenie):
- Pferde verlieren im Alter oft an Muskelmasse, besonders am Rücken. Dies liegt an verminderter Bewegung, aber auch an einer verringerten Fähigkeit, Proteine aufzunehmen und zu verwerten.
- Auswirkungen: Eingefallener Rücken, hervorstehende Hüfthöcker, allgemeine Schwäche.
5. Immunsystem:
- Das Immunsystem wird im Alter schwächer, wodurch Pferde anfälliger für Infektionen und Krankheiten werden.
6. Gelenke und Knochen:
- Arthrose: Häufig. Die Gelenke brauchen Unterstützung.
- Knochenqualität: Kann sich verschlechtern, insbesondere bei Mineralstoffmangel.
Der Kern der Seniorenernährung: Angepasstes Raufutter
Raufutter bleibt auch für alte Pferde die Basis der Fütterung, muss aber oft in Konsistenz und Menge angepasst werden.
1. Zahnkontrolle als Priorität:
- Regelmäßige, engmaschige Zahnkontrolle (mind. 1-2x jährlich) durch einen pferdeerfahrenen Tierarzt oder Dentisten! Viele Probleme lassen sich durch fachgerechte Bearbeitung beheben oder lindern.
- Erkennen von Problemen: Wickel kauen, Futter fallen lassen, Gewichtsverlust trotz Fressen, Mundgeruch, Speicheln, Koliken.
2. Heu – die Basis neu denken:
- Weiches, blattreiches Heu: Am besten geeignet. Grobe, stängelreiche Qualität kann für zahnkranke Pferde zu schwer sein.
- Heu von gutem 2. Schnitt: Oft weicher und blattreicher.
- Heuanalyse: Auch für Senioren wichtig, um Nährstoffgehalt, Energie und Zucker zu kennen.
- Heu wässern: Kann bei Staubproblemen oder sehr zuckerreichem Heu (für Rehe-Kandidaten) sinnvoll sein.
- Heunetze mit großen Maschen: Können die Fresszeit verlängern, aber bei starken Zahnproblemen lieber Heu lose anbieten, damit das Kauen nicht zu anstrengend wird.
3. Heuersatzprodukte: Unverzichtbar bei Zahnproblemen
Wenn das Pferd Heu nicht mehr ausreichend kauen kann, muss es ersetzt werden.
- Heucobs / Grascobs: Die wichtigste Alternative. Hochwertige Heucobs werden eingeweicht (Verhältnis ca. 1:3 bis 1:5 mit Wasser) und zu einem Brei oder Mus verfüttert. Sie sind staubfrei und leicht verdaulich.
- Qualität: Achten Sie auf hohe Qualität (Wiesengras von mageren Wiesen, ohne Luzerne- oder Getreideanteil, wenn nicht gewünscht).
- Menge: Die Menge muss der Heuration entsprechen. Faustregel: 1 kg Heu = 1 kg Heucobs (Trockengewicht). Bei einem 500 kg Pferd, das 1,5 kg Heu/100 kg Körpergewicht braucht, sind das 7,5 kg Heucobs Trockengewicht pro Tag! Auf mehrere kleine Mahlzeiten verteilt.
- Langsame Einführung: Immer langsam einführen und die Kotkonsistenz beobachten.
- Luzerne-Cobs (eingeweicht): Eine weitere Option, reich an Protein und Calcium. Gut für Pferde, die an Muskelmasse verlieren.
- Rübenschnitzel (unmelassiert, eingeweicht): Sehr energie- und faserreich. Müssen unbedingt unmelassiert sein und lange (mehrere Stunden) eingeweicht werden, um Koliken zu vermeiden. Eine gute Quelle für Energie und Fasern, wenn Heucobs alleine nicht ausreichen oder als zusätzliche Fasern.
- Gras / Weidegang (kontrolliert): Weidegang kann eine gute Ergänzung sein, muss aber bei zahnkranken Pferden genau beobachtet werden (können Gras nicht kurz abbeißen) und bei Stoffwechselproblemen (Fruktan!) streng limitiert werden.
Kraftfutter und Ergänzungen: Maßgeschneidert auf den Bedarf
Der Bedarf an Kraftfutter und Ergänzungen muss individuell angepasst werden.
1. Getreide – Oft ein Problemfall:
- Reduzieren oder vermeiden: Viele alte Pferde vertragen Getreide (Hafer, Gerste, Mais) aufgrund von Verdauungsproblemen oder Stoffwechselstörungen (Insulinresistenz, Cushing) schlecht.
- Leicht verdauliche Alternativen: Wenn Energie benötigt wird, lieber auf hochverdauliche Fasern, gesunde Fette und fermentierte Produkte setzen.
- Reiskleie: Energiereich, aber stärkeärmer als Getreide. Gut für Pferde, die an Gewicht verlieren.
- Leinsamen/Leinöl: Omega-3-Fettsäuren für Entzündungshemmung und Fellglanz. Ganze Leinsamen immer kochen oder geschrotete Leinsamen sofort verfüttern (Blausäure!). Leinöl ist unkomplizierter.
- Pflanzenöle (z.B. Maiskeimöl, Sonnenblumenöl): Nur in Maßen und als Energiequelle bei Bedarf. Omega-3/6-Verhältnis beachten.
- Seniorenmüsli/Seniorenfutter: Viele Hersteller bieten spezielle Müslis für alte Pferde an. Diese sind oft:
- Getreidefrei oder stark reduziert an Stärke/Zucker.
- Faserreich (z.B. mit Heucobs, Rübenschnitzelanteil).
- Hochverdaulich durch aufgeschlossene Komponenten.
- Angereichert mit Vitaminen, Mineralien und essentiellen Aminosäuren.
- Wichtig: Auch hier: auf die Inhaltsstoffe achten und die Futtermenge anpassen.
2. Mineralfutter: Die Basis jeder Seniorenration
Der Mineral- und Vitaminbedarf ändert sich im Alter nicht wesentlich, aber die Aufnahme und Verwertung können eingeschränkt sein. Ein hochwertiges, auf das Seniorpferd abgestimmtes Mineralfutter ist unerlässlich.
- Breites Spektrum: Achten Sie auf ein Mineralfutter, das alle wichtigen Makro- und Spurenelemente sowie Vitamine abdeckt.
- Essentielle Aminosäuren: Besonders Lysin, Methionin, Threonin sind wichtig, um dem Muskelabbau entgegenzuwirken. Viele Seniorenmineralfutter sind damit angereichert.
- Antioxidantien: Vitamin E und Selen sind wichtig für das Immunsystem und den Zellschutz (z.B. bei Cushing).
- B-Vitamine: Können die Nerven und den Stoffwechsel unterstützen.
- Zink, Kupfer, Mangan: Wichtige Spurenelemente, die oft im Heu nicht ausreichend vorhanden sind.
- Bierhefe: Natürlicher Lieferant von B-Vitaminen und Aminosäuren, gut für Darm und Fell.
3. Spezifische Ergänzungen bei Bedarf:
- Gelenkunterstützung (bei Arthrose): Glucosamin, Chondroitinsulfat, MSM, Teufelskralle, Ingwer, Hagebutte.
- Verdauungsförderer: Probiotika/Präbiotika, Lebendhefen, Flohsamenschalen (bei Neigung zu Verstopfung oder Sandkoliken).
- Bei Cushing / EMS: Spezielle Kräutermischungen (Mönchspfeffer), aber vor allem strikt zucker- und stärkereduzierte Fütterung.
- Bei Nierenproblemen: Tierärztliche Absprache. Protein- und Phosphor-reduzierte Rationen können notwendig sein.
Fütterungspraxis für alte Pferde: Die Umsetzung im Alltag
Neben der Auswahl der richtigen Futtermittel ist auch die Art und Weise der Fütterung entscheidend.
- Viele kleine Mahlzeiten: Verteilen Sie die Tagesration (insbesondere Heucobs und Kraftfutter) auf 3-5, besser 5-8 kleine Mahlzeiten pro Tag. Dies entlastet den Verdauungstrakt und sichert eine kontinuierliche Nährstoffzufuhr.
- Einweichen: Alles, was ein alterndes Pferd bekommt, sollte eingeweicht sein (Heucobs, Rübenschnitzel, ggf. auch Müsli), um das Kauen zu erleichtern, Staub zu vermeiden und die Flüssigkeitsaufnahme zu erhöhen.
- Sauberes Wasser ad libitum: Ständiger Zugang zu frischem, sauberem Wasser ist extrem wichtig, besonders bei eingeweichtem Futter.
- Regelmäßige Gewichtskontrolle: Überwachen Sie das Gewicht Ihres Pferdes regelmäßig (Messen mit Maßband, Body Condition Score) und passen Sie die Futtermenge entsprechend an. Dokumentieren Sie.
- Beobachtung der Verdauung: Kontrollieren Sie den Kot auf unverdaute Bestandteile (Hinweis auf Zahnprobleme oder Verdauungsstörungen) und die Konsistenz.
- Individuelle Fütterung: Wenn Ihr Senior in einer Herde im Offenstall steht, sorgen Sie für separate Fressplätze, damit er in Ruhe fressen kann und nicht von ranghöheren Pferden abgedrängt wird.
- Langsam umstellen: Jede Futterumstellung muss langsam und schrittweise erfolgen, um den Verdauungstrakt nicht zu überfordern.
Haltungsmanagement für alte Pferde: Die Umgebung zählt
Die beste Fütterung nützt nichts, wenn die Haltung nicht stimmt.
- Angemessene Bewegung: Angepasste, leichte Bewegung (Spaziergänge, leichtes Reiten, Führen) ist wichtig, um Muskelmasse zu erhalten, Gelenke geschmeidig zu halten und die Verdauung anzuregen. Lange Boxenruhe sollte vermieden werden, wenn medizinisch nicht notwendig.
- Angepasste Gruppe: Ein altersschwaches Pferd sollte nicht in einer sehr dominanten oder hektischen Herde stehen, in der es zu Kämpfen kommt oder es nicht zur Ruhe kommt. Eine ruhige, harmonische Gruppe ist ideal.
- Witterungsschutz: Alte Pferde kühlen leichter aus und sind empfindlicher gegenüber extremen Temperaturen. Ein geschützter Unterstand im Offenstall oder eine gut belüftete, aber vor Zugluft geschützte Box ist wichtig. Eventuell sind Decken im Winter nötig.
- Weiche Liegefläche: Eine tiefe, weiche Einstreu ist wichtig, damit das Pferd sich bequem hinlegen und aufstehen kann, ohne die Gelenke zu belasten.
- Regelmäßige Tierarztkontrollen: Mindestens einmal jährlich ein umfassender Check-up (Blutbild, Zähne, Organfunktion).
Häufige Probleme und ihre Fütterungslösung im Überblick
- Pferd magert ab / Muskelabbau:
- Zahncheck!
- Heuqualität optimieren, Heucobs zufüttern oder als Alleinfutter.
- Hochwertige Proteinquellen (Luzerne, Reisprodukte, Sojaextraktionsschrot, Aminosäuren) zufüttern.
- Energie über leicht verdauliche Fette (Leinöl) oder faserreiche Öle liefern.
- Engmaschige Fütterung.
- Koliken / Durchfall:
- Zahncheck!
- Heuqualität optimieren, staubarm und schimmelfrei.
- Heucobs als Ersatz.
- Ggf. Probiotika/Präbiotika für die Darmflora.
- Stärke/Zucker im Kraftfutter reduzieren.
- Stoffwechselprobleme (Cushing, EMS, Hufrehe):
- Strikt zucker- und stärkereduzierte Fütterung! (Gesamt-Zucker + Stärke unter 10-12%).
- Heuanalyse unerlässlich.
- Heu wässern oder Heucobs aus mageren Wiesen.
- Getreidefrei füttern.
- Spezielle Mineralfutter für Stoffwechselpferde.
- Gewicht reduzieren!
- Schlechtes Fell / Hautprobleme:
- Ausreichende Versorgung mit Zink, Kupfer, Biotin, Omega-3-Fettsäuren.
- Hochwertiges Protein.
Fazit: Liebe und Wissen für ein langes Pferdeleben
Die Fütterung alter Pferde ist eine Kunst, die auf Beobachtung, Wissen und viel Liebe basiert. Es ist eine fortlaufende Aufgabe, die sich mit dem Alter und den Bedürfnissen Ihres Pferdes immer wieder ändern wird. Die größte Herausforderung sind oft die Zähne, daher sollte die regelmäßige professionelle Zahnbehandlung oberste Priorität haben.
Geben Sie Ihrem Senior die Zeit und das angepasste Futter, das er braucht. Seien Sie geduldig, wenn er langsamer frisst, und achten Sie auf die kleinsten Veränderungen. Eine angepasste, hochwertige und ausgewogene Ernährung ist der Schlüssel, um altersbedingten Problemen vorzubeugen, bestehende Beschwerden zu lindern und Ihrem geliebten Pferd ein vitales und schmerzfreies Leben bis ins hohe Alter zu ermöglichen. Die Dankbarkeit Ihres treuen Gefährten wird die Mühe mehr als aufwiegen.